Mutig und gesund: "Meine 88-jährige Omi schläft ständig draußen"

Wer kennt sie nicht, die altbewährten Oma-Tricks fürs Leben: Kastanien gegen Motten im Kleiderschrank, Butter in die Milch geben, damit sie nicht überkocht, den Partner oder die Partnerin mit kleinen Briefen zum Lächeln bringen. Einen eher überraschenden Tipp teilt jetzt die Großmutter unserer Autorin: statt im Bett, schläft sie stets an der frischen Luft – und rät auch uns dazu.
Es gibt viele Gründe, weshalb mich meine Oma inspiriert. Trotz ihres hohen Alters – und einigen Alterserscheinungen wie Schwerhörigkeit – ist sie gesellig, mutig, fit und einfach richtig cool. Gerade inspiriert sie mich vor allem mit einer ihrer Gewohnheiten: Sie schläft ständig draußen. Mit stolzen 88 Jahren.
Auf dem kleinen Balkon meiner Omi steht eine Liege, abends schnappt sie sich nur ihre Decke und legt sich damit unter den Sternenhimmel ins Freie. "Ich schlafe draußen viel besser", begründet sie es jedes Mal. Da sei es kühler, die Luft besser und das Licht ganz natürlich. Ihr Bett benutzt sie seit Jahren nur im Winter oder wenn es stark regnet und windet.
Draußen zu schlafen ist gesund, behauptet meine Omi"Ich fühle mich körperlich und mental besser, wenn ich an der frischen Luft einschlafe und aufwache", erzählt mir meine Großmutter. Dass sie es freiwillig tut, auf einer guten Liege und in sicherer Umgebung schläft, ist sicherlich die Voraussetzung dafür. Vor Ewigkeiten habe ich einmal drei obdachlose Menschen interviewt, für die es sich verständlicherweise nicht angenehm gestaltete, draußen zu schlafen. Meine Omi wisse, welches Glück sie hat.
Doch ist es in einer Lebenslage wie die meiner Großmutter wirklich so, dass es besser ist, unter freiem Himmel zu schlafen? Fühlt man sich dann tatsächlich fitter – oder ist meine Großmutter die coole Ausnahme?
Die Antwort liefert die Chronobiologin Dr. Annette Krop-Benesch in einem Interview gegenüber "SkyHeia" im Rahmen eines Europäischen Symposiums zum Schutz des Nachthimmels. Drei Faktoren scheinen ausschlaggebend zu sein:

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"Draußen Schlafen ist deshalb gesund, weil man ja frische Luft im Überfluss bekommt", erläutert die Expertin. Ein Fenster auf Kipp kann die Menge nicht ausgleichen.
2. Der Temperaturunterschied ist größer und damit besserDazu erlebe man beim Draußen Schlafen einen größeren Temperaturunterschied zwischen dem Tag und der Nacht, so die Expertin: "Das ist beim Drinnen Schlafen ja leider meist anders, weil viele Schlafzimmer viel zu warm sind." Ein deutlicher Temperaturunterschied sei für unsere innere Uhr aber sehr wichtig: "Unsere innere Uhr bestimmt nämlich vor allem unseren Schlaf und die hat sich seit der Steinzeit kaum verändert, weil sie in unserem Erbmaterial festgelegt ist."
3. Die Lichtverhältnisse fördern diesen natürlichen Rhythmus"Unsere Vorfahren haben sich den Lichtverhältnissen angepasst", erklärt Dr. Annette Krop-Benesch in dem Interview weiter. "In der Dunkelheit war es für sie gefährlich, unterwegs zu sein, weil sie natürlich schlechte Karten hatten, wenn sie im Dunkeln einem Säbelzahntiger begegnet wären. Also haben sie sich mit Einbruch der Dämmerung an einem geschützten Ort zum Schlafen gelegt."
Ihre innere Uhr habe dann dafür gesorgt, dass Melatonin ausgeschüttet wurde. Der Botenstoff sorge nachts für verschiedene wichtige Prozesse im Körper, die tagsüber zu kurz kommen, weil die Energie im Hellen für die Jagd, das Sammeln und die Aufzucht der Kinder benötigt wurde. "Nachts sorgt das Melatonin für die Abspeicherung des Erlebten im Gehirn, für die Wundheilung und andere Aktivitäten des Immunsystems und für die Regeneration unserer Gewebe – also die Zellteilung." Mit der Dunkelheit einschlafen und mit dem Tageslicht wach werden ist daher nicht nur natürlich, sondern auch gesund.
Ein besonderer Bonus: die NaturgeräuscheEs sind genau die drei Aspekte, die auch meine Omi daran liebt, draußen zu schlafen – und die scheinbar wirklich einen positiven Effekt auf unsere Gesundheit und unseren Schlaf haben. Doch es gibt noch einen speziellen Moment, den meine Großmutter am allermeisten genießt: wenn morgens die Vögel anfangen zu zwitschern. Dass dieses Naturgeräusch gut für unsere Psyche ist, wurde bereits wissenschaftlich bewiesen.
Für mich war meine Omi schon immer ein Vorbild, mit ihrer Schlafgewohnheit ist sie es nun noch einmal mehr. Und ich habe mir fest vorgenommen: Dieses Jahr möchte ich einmal so cool sein wie sie und auf meiner Dachterrasse schlafen. Vermutlich als einmalige Sache – wobei, wer weiß …
Brigitte
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